Zusammenfassung: Eröffnung der Sonderausstellung „Zwangsarbeit im Kreis Euskirchen“ – 08.09.2022, 11-13 Uhr
„Ich hätte mir gewünscht, dass die Welt aus den Kriegen und der Geschichte lernt“, so NRW-Landtagspräsident André Kuper bei der Eröffnung der Sonderausstellung zur „Zwangsarbeit im Kreis Euskirchen“ am Standort Vogelsang IP im Nationalpark Eifel. Der höchste Vertreter des nordrhein-westfälischen Parlaments schlägt vor den mehr als 100 Gästen bei der gedenkreichen Veranstaltung bewusst den Bogen von den NS-Kriegsverbrechen in die Gegenwart des russischen Angriffskriegs in der Ukraine. Er erinnert daran, dass die sowjetischen Kriegsgefangenen, die von den sogenannten „Ordensjunkern“ aus Vogelsang hinter der damaligen Ostfront zwangsrekrutiert und verschleppt wurden, sowohl aus Russland als auch aus der Ukraine stammten.
Die vollständige Rede von Herrn Kuper finden Sie hier.
Zu Beginn der Veranstaltung begrüßte Vogelsang-IP-Geschäftsführer Thomas Kreyes die Gäste mit einem Hinweis auf die inhaltlichen Anregungen der Sonderausstellung: „Frieden bewahren, Gedenken an die Opfer von Krieg und Gewalt einrichten und vor allem Aussöhnung ermöglichen, gerade wenn die Verbrechen zu einer unvorstellbaren Entgrenzung geführt haben – hierzu möchte das gesamte Ausstellungsteam mit seiner Arbeit einen Beitrag leisten.“ Prof. Dr. Jürgen Rolle, Vorsitzender der Gesellschafterversammlung der Vogelsang IP und des LVR-Kulturausschusses betonte, dass der Ort der ehemaligen „NS-Ordensburg“ damit nicht nur als touristisches Angebot diene, sondern eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Geschichte und ihrer Bedeutung für die Gegenwart ermögliche.
Die vollständige Rede von Herrn Prof. Dr. Rolle finden Sie hier.
Euskirchens Landrat Markus Ramers hob hervor: „Es ist die Geschichte unserer Städte und Dörfer, unserer Großeltern. Das Morden hat sich vor unseren Haustüren abgespielt.“ Damit verwies er auf die wichtigen Recherchen, die die Ausstellungsverantwortlichen Heike Pütz (Altkreis Euskirchen) und Franz Albert Heinen (Altkreis Schleiden) zu den insgesamt knapp 160 Lagern und fast 10.000 Insassen sowie im Endeffekt rund 600 Toten unter den Zwangsarbeitern im damaligen Kreisgebiet zusammengestellt haben. Zum Abschluss zitierte Ramers den in Euskirchen-Kuchenheim geborenen Widerstandskämpfer der Weißen Rose, Willi Graf, mit den Worten „Jeder Einzelne trägt die ganze Verantwortung“.
Die vollständige Rede von Herrn Landrat Ramers finden Sie hier.
Heike Pütz, Verantwortliche des Kreisarchivs und Macherin des Euskirchener Ausstellungsteils, berichtete über die schwierigen Nachforschungen zu den Zwangsarbeitern im Kreisgebiet insbesondere bei der Suche nach Namen und Schicksalen, aber auch über die schlimme Ausgrenzung und Behandlung der ins deutsche Reichsgebiet verschleppten Menschen insbesondere aus der Sowjetunion. Franz Albert Heinen ergänzte diese Befunde um die bewegenden Schilderungen der unvorstellbaren Verhältnisse sowjetischer Zwangsarbeiter in Hellenthal, die regelmäßig gezwungen waren, ihre an den Lagerzuständen verstorbenen Kameraden mit letzten Kräften in einem Holzkarren auf den Friedhof in Blumenthal zu schleppen, und zwar hör- und sichtbar für alle Anwohner entlang des Weges.
Die vollständige Rede von Frau Pütz finden Sie hier.
Die vollständige Rede von Herrn Heinen finden Sie hier.
Als besonders eindringlich erwiesen sich die Ausführungen von Mira Moroz, Nachfahrin eines polnischen Zwangsarbeiters in der Eifel, über ihr Familienschicksal: „Nach den rassistischen Vorstellungen der Nazis hätte es meine Verwandten gar nicht mehr geben sollen. Umso glücklicher bin ich über unseren großen Familienkreis“. Stefan Wunsch, wissenschaftlicher Leiter von Vogelsang IP, machte hingegen deutlich, wie tief und brutal die „Ordensjunker“ als Gebietskommissare in die Rekrutierung der Zwangsarbeiter hinter der damaligen Ostfront verstrickt waren – ein weiterer, schrecklicher Beleg für die von Vogelsang ausgehenden Verbrechen des NS-Regimes.
Die vollständige Rede von Frau Moroz finden Sie hier.
Die vollständige Rede von Herrn Wunsch finden Sie hier.
In einer Runde profilierter Experten zum Thema vermittelten diese Protagonisten ihre Perspektiven auf das Thema Zwangsarbeit und die Bedeutung ihrer Aufarbeitung:
- Jens Hecker unterstrich aus seiner Arbeit für die Gedenkstätte des sogenannten Stammlagers 326 in der Senne die Bedeutung einer netzwerkartigen Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen NS-Erinnerungsorten. Von dem ostwestfälischen Zwischenlager sind die Kriegsgefangenen bis in die Eifel verteilt worden. Bei der Aufarbeitung hat Jens Hecker eng mit den Forschern in der Eifel zusammengearbeitet.
- Dr. Corinna Franz, Kulturdezernentin des LVR, hob die Bedeutung der Aufklärung über dieses schlimme Kapitel der NS-Zeit hervor, nachdem die Nachkriegsgesellschaft das Thema zunächst über mehrere Jahrzehnte verdrängt habe. Sie betonte, dass der LVR daher auch eng mit vielen örtlichen Einrichtungen fachlich zusammenarbeite und entsprechende Hilfestellungen für die Verantwortlichen vor Ort leiste.
- Stephan Schmidt, NRW-Geschäftsführer des Volksbunds Kriegsgräberfürsorge e.V., erinnerte an das lange Schweigen der Deutschen zur NS-Aufarbeitung und auch zur Zwangsarbeit. Er bemüht sich mit seiner Organisation um das verantwortungsvolle Gedenken an die NS-Opfer in aller Welt, aber auch an die ermordeten und misshandelten Zwangsarbeiter auf deutschem Gebiet.
- Dr. Dieter Lenzen, jahrzehntelang Landarzt im früheren Kreis Monschau, hat sich nach seiner aktiven Zeit mit Forschungen und Publikationen der NS-Zeit in seiner Region gewidmet. Besonders liegt ihm der Friedhof Rurberg am Herzen, auf den Zwangsarbeiter aus dem gesamten, früheren Regierungsbezirk Aachen umgebettet worden sind, ohne lange Zeit für ein angemessenes Gedenken an diese NS-Opfer einzurichten.
- Dietrich Schubert, renommierter NS-Dokumentarfilmer aus der Region, berichtete vom Kontakt mit dem ehemaligen niederländischen Zwangsarbeiter Gerard van der Lee, der in den heute von den Schuberts bewohnten Bahnhof Kronenburg während der Kriegszeit als Lagerinsasse verschleppt wurde. Schubert hat sich zusammen mit seiner Frau intensiv der filmischen und fotografischen Darstellung der NS-Zeit in der Eifel gewidmet.
- Konrad und Benedikt Schöller haben als Vater und Sohn mit ihrer Geschichtswerkstatt Eifel für eine Institution gesorgt, die in der Region sehr viel Aufklärung über die NS-Zeit bewirkt hat. Konrad Schöller hat sich vor allem der Recherche sowjetischer Zwangsarbeiter gewidmet, Benedikt Schöller kümmert sich als Studiendirektor in Bad Münstereifel um die historisch-politische Bildung seiner Schulklassen.
Das vollständige Gespräch mit der Expertenrunde finden Sie hier.
Viele der Protagonisten werden während der Ausstellungszeit in Vogelsang vertiefende Veranstaltungen – Vorträge, Diskussionen, Filmvorführungen und Exkursionen – für interessierte Gäste anbieten, die Vogelsang IP im Rahmen von NRWeltoffen kostenfrei – meist inkl. einer Führung über das Gelände der „NS-Ordensburg“ – organisiert. Die Termine finden sich auf der Website und in speziellen Ankündigungen auf Facebook und Instagram.
Die musikalische Begleitung der Eröffnung leistete Florian Koltun mit der Eifel Musicale und den beiden Streichern Inn-Ton Lee (Violine) und Yung-Han Cheng (Violoncello), deren Stücke immer wieder die Gelegenheit boten, in angemessener Atmosphäre die schwerwiegenden Schilderungen der Experten auf der Bühne zu verarbeiten.